Bau des Monats 03/2023
Brückenkopf West
Bauart Architekten haben ein uniformes Bürohaus an der Monbijoubrücke in Bern in ein attraktives Wohnhaus transformiert. Die Grundrisse und Fassaden des 1964 erbauten Gebäudes reagieren nun geschossweise auf den Kontext.
Welches Ziel bezweckte das Bauvorhaben?
Die Liegenschaft Eigerstrasse 73 aus den Sechzigerjahren liegt am westlichen Brückenkopf der Monbijoubrücke in Bern. Der vormalige Nutzer, das Amt für Migration und Personenstand, verliess die Räumlichkeiten per Herbst 2019 und das Gebäude wurde hiermit für eine Umnutzung frei. Bereits 2014-2015 hatten wir im Rahmen einer Testplanung für das Gaswerkareal Bern die Idee einer Umwandlung der Liegenschaft in ein Wohnhaus postuliert. Das realisierte Projekt leistet nun einen Beitrag zur Belebung und Attraktivierung der angrenzenden Quartiere, indem es einen ehemaligen städtischen «Unort» mit unterschiedlichen Nutzungen anreichert, innerstädtischen Wohnraum schafft, zwei Stadtebenen verbindet und somit auch eine bessere soziale Verbindung auf Quartierebene ermöglicht.
Der Umbau zeigt auch einen möglichen Umgang mit dem baulichen Erbe aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Wie bei allen Umbauten mussten wir uns fragen, welche Interventionstiefe in Bezug auf die Aufgabenstellung die richtige ist. Eine Umnutzung verlangt nach einem intensiveren Umgang mit dem Bestand als eine Renovation ohne Nutzungsänderung. Durch den Rückbau auf den Rohbau (inkl. Fassadenrückbau) wurde beim Brückenkopf relativ tief in den Bestand eingegriffen. Im Innenausbau haben wir jedoch versucht, den Spuren der Zeit Raum zu geben und dem bestehenden Rohbau die identitätsstiftende Rolle zu überlassen.
War ein Abbruch jemals ein Thema? Wenn ja, weshalb wurde er verworfen?
Bereits seit 1964 markiert der zwölfstöckige Betonbau den westlichen Brückenkopf entlang der Berner Verkehrsachse über die Monbijoubrücke – sowohl auf horizontaler als auch vertikaler Ebene. Ein Abbruch des Bürohauses war nie ein Thema, schon eher eine zusätzliche Aufstockung. Innerhalb des geltenden Gestaltungsplans aus den Sechzigerjahren war eine Erhöhung des Volumens jedoch nicht erlaubt. Die Überprüfung des Schattenwurfs auf die umliegenden Bestandesbauten auf Aareebene zeigte zudem, dass ein Neubau nicht mehr gleich hoch hätte gebaut werden dürfen. Somit wären 2-3 Geschosse an Nutzfläche und die wichtige städtebauliche Wirkung des Gebäudes verloren gegangen. Neben den baurechtlichen Aspekten sprach vor allem der Erhalt einer bedeutenden Menge an grauer Energie, die im massiven Rohbau der Sechzigerjahre gespeichert ist, gegen einen Abbruch.
Gibt es Qualitäten im Bestand, inkl. Aussenraum, die das Projekt beeinflusst haben?
Das Bürohaus ist Teil des Gebäudeensembles Brückenkopf West, welches das Auflager der Monbijoubrücke bildet. Im Sockelbau des Ensembles gibt es eine grosse Nutzungsvielfalt (Einkauf, Fitness, Freizeit), welche mit dem Gebäude direkt verbunden ist und das Haus quasi zu einer «Stadt in der Stadt» werden lassen. Das Gebäude an der Eigerstrasse 73 verbindet für die Bewohner:innen und Nutzer:innen mit seinen zwei Adressen die beiden Stadtebenen miteinander – und somit auch die beiden Quartierteile Sandrain und Monbijou.
Für die Positionierung der einzelnen Wohnungstypologien wurden die unterschiedlichen Lagequalitäten bezüglich Belichtung, Aussicht und Lärm geschossweise analysiert. Die Studios zum Beispiel wurden gegen Westen angeordnet, dort, wo der Weitblick durch ein Nachbargebäude eingeschränkt ist. Durch das robuste, flexible System der Flachdecken und Stützen – welche heute mit ihrer rohen Art den Wohnräumen eine besondere Atmosphäre verleihen – konnten die Grundrisse ziemlich frei ausformuliert werden. Entstanden sind loftartige Wohnungen mit fliessenden Räumen. Durch das Freispielen der Fassadenbereiche – innerhalb der Wohnungen gibt es keine festen Innenwände, die an die Fassade anschliessen – konnte die grossartige Aussicht maximal in Szene gesetzt werden. Die Individualräume können mit Hilfe von Schiebeelementen abgetrennt werden.
Wie gross war die Eingriffstiefe? Welche Bauteile wurden wie instandgesetzt, ertüchtigt oder ersetzt?
Der Bauingenieur analysierte das bestehende Tragwerk sehr umfangreich. Dieses war in einem sehr guten Zustand und erfüllte die heutigen statischen Anforderungen. Für die notwendigen Deckendurchbrüche der neuen Haustechniksteigzonen wurden Sperrzonen definiert, damit das Tragwerk nicht geschwächt wird. Um das Tragwerk zu entlasten, mussten die bestehenden Zementüberzüge entfernt werden. Mit dem Bauphysiker und dem Fassadenplaner wurde die bestehende Vorhangfassade auf eine Weiterverwendung untersucht. Aufgrund des sehr schlechten Zustandes der Fassade konnte diese nicht erhalten bleiben und wurde ersetzt. Zum Einsatz kamen vorfabrizierte Betonelemente in den Brüstungen und zwischen die Betonelemente gespannte Bänder aus Pfosten-Riegel-Verglasungen.
Zugunsten von zusätzlicher Wohnfläche wurde das an der Fassade liegende Treppenhaus in den oberen Geschossen abgebrochen und in die Mitte des Grundrisses verschoben. Das bestehende Treppenhaus in den Sockelgeschossen hingegen wurde unverändert belassen und nur neu gestrichen. Durch diese Intervention konnte gleichzeitig die Hochhausproblematik zweier getrennter Fluchtwege elegant gelöst werden. Aus architektonischer Sicht wurden sämtliche betonierte Geschossdecken und Betonstützen von Farbe und Gips befreit, gereinigt und farblos lasiert. Diese unprätentiöse Art des Umgangs mit dem Bestand führte zu einer unverwechselbaren Qualität in den Innenräumen.
Worin bestand die grösste Herausforderung?
In erster Linie braucht es eine motivierte Bauherrschaft, welche den Mehrwert einer Umwidmung von einer Büronutzung zu einer Wohnnutzung erkennen kann. Eine Sanierung ohne Nutzungsänderung wäre einfacher umzusetzen gewesen, hätte aber nicht die gewünschten Mehrwerte ergeben. So gaben wir uns etlichen Herausforderungen hin. Ein Wohnhaus benötigt zum einen aufgrund der grösseren Anzahl Bäder und Küchen mehr Haustechnikschächte. Diese Schächte konnten aufgrund des bestehenden Tragwerks nicht beliebig positioniert werden, was einen Einfluss auf die Grundrissplanung hatte.
Ein anderes wichtiges Thema war die Ausformulierung der neuen Fassadengestaltung. Wir haben uns aufgrund der Nutzungsänderung entschieden, auf die vertikale Struktur des Bestands zu verzichten und neu eine horizontale Fassadengliederung vorzusehen, welche der ausserordentlichen Lagequalität gerecht wird. Eine weitere Fragestellung war die Integration von privaten Aussenräumen in Form von Loggien in die bestehenden Geschosse, welche als vormalige Büroflächen keine Aussenflächen aufwiesen. Die neuen Loggien wurden konsequent übereinander angeordnet, um die aufwändigen Dämmmassnahmen zu minimieren. Entlang der Eigerstrasse dienen sie zusätzlich dem Lärmschutz zur Einhaltung der höheren Anforderungen an Wohnräume. Wie bei Umbauten üblich, gab es im Bestand grosse Ungenauigkeiten und schiefe Bereiche, welche in der Ausführung an den Schnittstellen zu den neuen Konstruktionselementen aufwendig angepasst werden mussten.
Welche Erkenntnisse haben Sie bei der Arbeit an diesem Projekt gewonnen?
Am Anfang haben wir diese Bauaufgabe am Brückenkopf etwas unterschätzt. Die hohe Komplexität, vor allem in den vielen technischen Fragestellungen, zeigte sich jedoch rasch. Damit ein Bürogebäude erfolgreich in ein Wohngebäude umgenutzt werden kann, müssen einige wichtige Voraussetzungen gegeben sein. Neben baurechtlichen Fragen bezüglich Besitzstandsgarantie, Bauzone und Lärmsituation ist der Zustand der Liegenschaft sowie die Geometrie – insbesondere die Gebäudetiefe – und das Tragwerksystem entscheidend. Eine umfassende Gebäudeanalyse inkl. einer Zustandsanalyse der Fassade zu Beginn der Planung ist die Basis von weiteren Überlegungen. Die Weiterverwendung von bestehender Bausubstanz für neue Nutzungen ist bezüglich ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit sehr sinnvoll und sollte in Zukunft vermehrt Anwendung finden.
Welche Vorarbeiten wurden geleistet, bevor das Vorprojekt beauftragt wurde?
Die Idee, das Bürohaus Eigerstrasse 73 in Wohnen umzuwidmen, entstand im Rahmen der Testplanung Gaswerkareal Bern (2014-2015). In der zweistufigen Testplanung wurden neben dem Wohnquartier im Gaswerkareal auch Ideen für eine bauliche Erweiterung und Aufwertung des Brückenkopfs West entwickelt. Aufgrund unserer Arbeit in der Testplanung beauftragte uns die Bauherrschaft Brückenkopf Bern AG mit einer anschliessenden zweistufigen Machbarkeitsstudie. Die erste Phase umfasste eine typologische Grundrissstudie, die zweite die Definition des Zielpublikums und des Wohnungsmixʼ. Nebst der engen Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft auf inhaltlicher Ebene diente die Machbarkeitsstudie auch dem Kennenlernen und dem Aufbau des Vertrauens. Schliesslich entstand für das umgebaute Gebäude der Brand ‘Urban Living – die gestapelte Vielfalt’. Die Resultate der Machbarkeitsstudie bildeten die Basis für das Vorprojekt.
Gab es Vorbilder/Referenzobjekte, an denen Sie sich orientiert haben?
2016 gab es nur sehr wenige Referenzen für Bürohäuser, die zu Wohnbauten umgenutzt wurden. Um der Bauherrschaft das Thema ‘Urban Living – die gestapelte Vielfalt’ näher zu bringen, besuchten wir gemeinsam einige realisierte Beispiele in Zürich (Hohes Haus West / Überbauung James).
Was würden Sie oder die Bauherrschaft rückblickend anders machen/angehen?
Die Bauherrschaft, wir Architekten und vor allem die Bewohner:innen sind sehr glücklich über das Resultat. Die Bewohner:innen schätzen vor allem das vielfältige Angebot an unterschiedlichen Nutzungen unter einem Dach und die eingerichteten, gemeinschaftlichen Flächen. Es entstand in kurzer Zeit eine sehr gute Nachbarschaft, die im Alltag auch gelebt wird.
Selbstverständlich gibt es ein paar technische Aspekte. Während der Ausführung wurden einige Aufwendungen aus Kostengründen zurückgestellt. Um diese nachträglich einfacher ausführen zu können, wurden jedoch die notwendigen Vorinstallationen getätigt. Zum Beispiel werden die natürliche Nachtauskühlung und die Kühlung mit Hilfe der Fussbodenheizung, welche die sommerlichen Temperaturspitzen brechen, erst nachträglich umgesetzt werden.
Kennwerte des Brückenkopfs West
Mengen, nach SIA 416 | vorher | nachher |
---|---|---|
Gebäudevolumen (GV), m³ | 24'540 | 25'200 |
Geschossfläche (GF), m² | 7'830 | 8'080 |
Hauptnutzfläche (HNF), m² | 3'990 | 4'140 |
Funktionale Einheiten (FE), Stk. | 54 | |
BKP 1 Vorbereitungsarbeiten | 40'000 | |
BKP 2 Gebäude | 19'670'000 | |
BKP 4 Umgebung | 0 | |
BKP 5 Baunebenkosten | 100'000 | |
BKP 9 Ausstattung | 13'000 | |
BKP 1-9, CHF | 19'820'000 | |
BKP 2, CHF/m³ GV | 780 | |
BKP 2, CHF/m² HNF | 4'750 | |
BKP 2, CHF/Stk. FE | 364'260 | |
BKP 1-9, CHF/m³ GV | 790 | |
BKP 1-9, CHF/m² HNF | 4'790 | |
BKP 1-9, CHF/Stk. FE | 367'040 | |
Energiebezugsfläche EBF, m² | 6'432 | |
Heizwärmebedarf Qh, kWh/m²a | 32 | |
Grenzwert Qh,li für Umbauten, kWh/m²a | 45 | |
Heizwärmebedarf Qh, in % des Grenzwertes | 71 | |
Elektrizität, inkl. Wärmepumpe (falls vorhanden), kWh/m²a | 35 | |
Gesamtenergiebedarf (Heizwärmebedarf + Elektrizität), kWh/m²a | 67 | |
Energieerzeugung | Fernwärmeverbund | |
Lüftungskonzept: | ||
Luftschallschutz Decke Di, dB (mind. ≥ 52.0 dB nach SIA 181) | ≥ 55.0 | |
Trittschallpegel Boden L', dB (max. ≤ 55.0 dB Umbau gemäss SIA 181) | ≤ 50.0 | |
In welchem Umfang sind Bauteile ertüchtigt worden? | ||
Musste eine massgebliche Reduktion beantragt werden? | Nein | |
Erfüllungfaktor αeff gem. Merkblatt SIA 2018 | 0.85 | |
Nachhaltigkeitslabel | Minergie | |
Wohnungszugänglichkeit gem. BEHIG? | 100% der Whg. | |
Wohnungen vollständig behindertengerecht anpassbar? | 100% der Whg. |
Eckdaten
Bauwerkname | Brückenkopf West, Umnutzung Bürohaus in Wohnen, Bern |
Ort | Eigerstrasse 73 3007 Bern |
Auftragsart | Testplanung / Folgeauftrag |
Jahr der Fertigstellung | 2021 |
Baujahr Bestand | 1964 (Architektur: Hufschmid + Nauer) |
Bauweise | Skelettbauweise (Stützen & Platten) / Umbau |
Bauherrschaft | Brückenkopf Bern AG, Bern Vertretung: Reflecta AG, Bern |
Architektur | Bauart Architekten und Planer AG, 3008 Bern Raffael Graf, Stefan Graf (Projektverantwortung), Emmanuel Rey, Yorick Ringeisen Andreas Schreurs (Projektleitung). Nicole Trachsel-Gerber, Richa Wyss, Fionn Reichert, Martin Reutimann, Regula Moser, Bruno Ryf, Michelle Schwab |
Bauleitung | Eberhart Partner Bauleitungen AG, Bern |
Fachplaner | Bauingenieur : Bächtold & Moor AG, Bern Elektroingenieur + Gebäudetechnik : Amstein + Walthert Bern AG, Bern Lichtplanung : Wegmüller Licht, Zürich Fassadenplanung : Fachwerk F+K Engineering AG, Muri bei Bern Brandschutz: Wälchli Architekten Partner AG, Bern Bauphysik + Akustik : Gartenmann Engineering AG, Bern Signaletik : nulleins Kommunikationsdesign, Bern |