Bau des Monats 06/2023
Lindendorf
W2H Architekten haben in Ostermundigen drei Mehrfamilienhäuser in einem Ensemble aus den frühen 1980er-Jahren mehrgeschossig aufgestockt. Die Zahl der Wohnungen hat sich damit um 50% erhöht – unter Wahrung der aussenräumlichen Qualitäten.
Welches Ziel bezweckte das Bauvorhaben?
Die Überbauung Lindendorf II wurde in den frühen Achtzigerjahren am nördlichen Siedlungsrand der Gemeinde Ostermundigen in einheitlichem Erscheinungsbild erstellt. Die Siedlung umfasst zwölf Wohnbauten, welche untereinander mit einer Einstellhalle verbunden sind und sich im Besitz von zehn Eigentümern befinden (nach der Vollendung waren es deren sechs). Wir begannen das Projekt im Jahr 2014 mit einem Auftrag für die Strangsanierung eines einzelnen Gebäudes. Gemeinsam mit der Eigentümerschaft erkannten wir ein Potenzial für die innere Verdichtung der ganzen Siedlung. Nach den ersten Studien am Objekt Unterdorfstrasse 35/37 haben wir von der Gemeinde den Auftrag erhalten, mittels eines Workshopverfahrens die Grundlagen für die Änderung des Überbauungsplanes von 1980 zu schaffen. Das Ziel des erarbeiteten Konzepts ist, unter Wahrung der vorhandenen Freiraumqualitäten die bestehende Siedlung mit 228 Wohnungen um 110 Wohnungen zu erweitern. Davon wurden 30 neue Wohnungen durch uns umgesetzt. Weitere 42 neue Wohnungen sind von anderen Architekturbüros ausgeführt worden bzw. in Ausführung.
War ein Abbruch jemals ein Thema? Wenn ja, weshalb wurde er verworfen?
Die äussere Fassadenlinie der Wohnbauten ist gleichzeitig die Parzellengrenze, der gesamte Aussen- und Freiraum ist Miteigentum. Unter dieser Voraussetzung war eine Vergrösserung des Volumens nur mit einer Aufstockung umsetzbar. Nach den ersten gestalterischen Studien und der nachgewiesenen statischen Machbarkeit zur Aufstockung um bis zu drei Geschosse konnten wir auch den Nachweis der wirtschaftlichen Tragfähigkeit einer vertikalen Erweiterung erbringen. Somit war die Frage nach Ersatzneubauten hinfällig.
Gibt es Qualitäten im Bestand, inkl. Aussenraum, die das Projekt beeinflusst haben?
Einheitlich strukturierte, in der Höhe differenzierte Bestandsbauten spannen einen grosszügigen Aussenraum auf. Dieser parkähnliche, mit Bäumen und Teichen durchsetzte Zwischenraum ist die prägende Qualität des Ortes. Die Bestandsbauten sind charakteristische Vertreter der Achtzigerjahre. Trotz der Typisierung der Häuser schaffen sie es, differenziert in Erscheinung zu treten und eigenständige Setzungen zu behaupten. Die Qualität der einheitlichen Siedlungserscheinung, sowie die Aussen- und Freiraumqualitäten galt es zu bewahren.
Wie gross war die Eingriffstiefe? Welche Bauteile wurden wie instandgesetzt, ertüchtigt oder ersetzt?
Die Bestandsbauten weisen in der Regel ein Attikageschoss auf, welches komplett rückgebaut wurde. Sämtliche Oberflächen im Innern mussten als Folge der Schadstoffsanierung bis auf den Rohbau saniert werden. Auf den bestehenden Regelgeschossen aufbauend folgen zwei bis drei Geschosse in vorfabrizierter Holzelementbauweise. Je nach Höhenstaffelung des Bestandes und der Anzahl der neuen Geschosse, formulierte sich der Bedarf der statischen Massnahmen. Entweder konnten mit einer neu betonierten Trennwand zwischen Wohnzimmer und Bad die zusätzlichen Lasten der Aufstockung abgenommen und die Erdbebenertüchtigung gewährleistet werden, oder die Gebäudehälften wurden mit neuen Betonscheiben zusammengebunden und versteift. Die Schallmessungen im Bestand zeigten, dass dieser den Anforderungen genügte.
Dem anfänglichen Selbstverständnis zur Überdämmung der bestehenden Fassaden und der damit einhergehenden, einheitlichen Fassadengestaltung folgte eine intensive Auseinandersetzung über den Zustands- und Identitätswert der Bauten im Zusammenhang mit der kommenden, zeitlich unsteten Weiterentwicklung der Siedlung. Die Fassaden weisen einen hohen Anteil an Fensterflächen aus, die alle mit neuen dreifachverglasten Fenstern ausgestattet wurden. Auch konnte mit einer Mehrdämmung der Neubauteile die Gesamtbilanz gegenüber dem Bestand deutlich verbessert werden. Wir haben uns entschieden, den Ausdruck der bestehenden Fassaden zu erhalten und damit die sanierten und noch nicht sanierten Bauten weiterhin als Einheit erlebbar zu machen.
Worin bestand die grösste Herausforderung?
Bereits bei der frühen Bearbeitung an einem der zwölf Gebäude im Lindendorf wurde klar, dass nicht alle Eigentümer gleichzeitig mit den Erneuerungsarbeiten beginnen würden. Im Zusammenhang mit der Formulierung des Gestaltungskonzeptes verfolgten wir daher das Ziel, dieser zeitlich nur bedingt vorhersehbaren Weiterentwicklung der Siedlung Rechnung zu tragen. Die bestehenden räumlichen und architektonischen Qualitäten der Siedlung sollen in jedem Stadium des Weiterbauens erkennbar bleiben, um die bestehende Identität, die Wiedererkennung und die emotionalen Beziehungen der Bewohnenden zu erhalten. Abgeleitet vom Bestand entwickelten wir die Vorgaben für die Gliederung der Aufbauten. Die einfachen, flächeneffizienten Grundrisse aus der Entstehungszeit bieten dabei eine ideale Ausgangslage zur Erweiterung des Bestands. Das Lindendorf weist ein gut diversifiziertes Grundrissangebot von 1.5 bis 5.5-Zimmer-Wohnungen auf, welches mit den Aufbauten nahezu linear erweitert wird (auf die gesamte Siedlung betrachtet entfallen lediglich vier 6-Zi-Attika-Wohnungen).
Welche Erkenntnisse haben Sie bei der Arbeit an diesem Projekt gewonnen?
Unser Interesse liegt beim Weiterbauen, damit reiht sich das Projekt Lindendorf in eine lange Serie von ähnlichen Aufgaben. Jedes Projekt bringt seine spezifischen Grundlagen und Ziele mit. In Ostermundigen war unser Büro das erste Mal an der Änderung einer Überbauungsordnung beteiligt, und so konnten wir während der langen Bearbeitungszeit insbesondere Kenntnisse zu den Planungs- und den politischen Prozessen gewinnen. Diese Erfahrungen in der Prozessterminologie helfen uns künftig, frühzeitig die nötigen Fragen zu stellen oder Akteure beizuziehen.
Welche Vorarbeiten wurden geleistet, bevor das Vorprojekt beauftragt wurde?
Ausgehend von der Absicht der Verdichtung eines Gebäudes, wurden wir – wie bereits gesagt – von der Gemeinde Ostermundigen mit der Erarbeitung der Machbarkeitsstudie über das gesamte Lindendorf-Areal beauftragt. Mittels eines Workshopverfahrens wurden die Richtlinien zu Bebauungsmuster, Fassadengestaltung, Erschliessung, Parkierung und Umgebungsgestaltung der ganzen Siedlung festgelegt, welche die Grundlage der neuen Überbauungsordnung bildeten. Die zahlreichen Schritte in der Planung, der Koordination innerhalb der Miteigentumsgesellschaft sowie im politischen Prozess der Gemeinde Ostermundigen dauerten insgesamt von 2014 bis 2019. Nach einem Referendum und anschliessender Volksabstimmung wurde die neue Überbauungsordnung schliesslich 2020 rechtskräftig.
Gab es Vorbilder/Referenzobjekte, an denen Sie sich orientiert haben?
Bei den ersten Studien zur Volumenerweiterung haben wir das Projekt Bebelallee in Hamburg von Blauraum Architekten studiert. Auffallend war dabei der Versprung der Aufstockung zum Bestand. Die klare Auszeichnung des Weiterbauens und die Möglichkeit, in einem späteren Zeitpunkt die Bestandsfassaden energetisch zu ertüchtigen, interessierten uns. In der weiteren Planung haben wir der Integration der Bauten innerhalb der Siedlung ein höheres Gewicht beigemessen und die vorhandenen Gestaltungsgrundsätze auch für die Aufstockungen übernommen. Das neue, sanft gewellte Kleid der Fassade soll wie die bestehende, grob verputzte Fassade unterschiedliche Licht- und Schattenstimmungen erzeugen. Zusammen soll ein differenziertes neues Ganzes entstehen.
Was würden Sie oder die Bauherrschaft rückblickend anders machen/angehen?
Wir haben nun fast zehn Jahre mit den Bauherrschaften gemeinsam am Projekt Lindendorf gearbeitet. In dieser Zeit haben wir immer wieder die Möglichkeit gehabt, unsere Absichten zu prüfen, anzupassen und insbesondere mit den beteiligten Akteuren zu reflektieren. Die Überbauungsordnung legte fest, dass die Gebäude zusammen mit den Aussenräumen so zu gestalten sind, dass eine überzeugende Gesamtwirkung entsteht. Diesen Nachweis erbrachten wir mit einem Gestaltungskonzept, welches Verhaltensregeln festgelegt, aber auch gewissen Spielraum, zum Beispiel zur Fassadenmaterialisierung, offen lässt. So ist statt Welleternit auch ein Aussendämmsystem mit Putz möglich. Jeder Eigentümer war nämlich frei, eigene Planende zu bestimmen. Aktuell sind im Lindendorf neben uns drei weitere Architektenteams beauftragt. Die Schnittstelle unter den zehn Eigentümern mit ihren jeweiligen Planenden wurde erst nach der Rechtskraft der Überbauungsordnung an eine externe Projektleitung übergeben. Diese stellte auch die Kommunikation zu den Bewohnenden sicher. Die Koordination aller übergeordneten Ereignisse, wie zum Beispiel die Überarbeitung der Nutzungs- und Verwaltungsordnung oder die Erarbeitung des Infrastrukturvertrages mit der Gemeinde, stellte eine grosse Herausforderung dar. Den Beizug dieser Funktion hätten wir rückblickend früher beantragen sollen, auch um eine höhere Akzeptanz der Bewohnenden zu erzielen.
Kennwerte der Sanierung und Aufstockung Lindendorf II Ostermundigen
Mengen, nach SIA 416 | vorher | nachher |
---|---|---|
Gebäudevolumen (GV), m³ | 20'860 | 31'476 |
Geschossfläche (GF), m² | 7'564 | 10'316 |
Hauptnutzfläche (HNF), m² | 4'879 | 6'881 |
Funktionale Einheiten (FE), Stk. | 61 | 91 |
BKP 1 Vorbereitungsarbeiten | 2'294'000 | |
BKP 2 Gebäude | 25'692'000 | |
BKP 4 Umgebung | 349'000 | |
BKP 5 Baunebenkosten | 2'100'000 | |
BKP 1-9, CHF | 30'435'000 | |
BKP 2, CHF/m³ GV | 820 | |
BKP 2, CHF/m² HNF | 3'730 | |
BKP 2, CHF/Stk. FE | 282'330 | |
BKP 1-9, CHF/m³ GV | 970 | |
BKP 1-9, CHF/m² HNF | 4'420 | |
BKP 1-9, CHF/Stk. FE | 334'450 | |
Energiebezugsfläche EBF, m² | 5'408 | 9'027 |
Heizwärmebedarf Qh, kWh/m²a | 107 | 27 |
Grenzwert Qh,li für Umbauten, kWh/m²a | 37 | 37 |
Heizwärmebedarf Qh, in % des Grenzwertes | 289 | 73 |
Elektrizität, inkl. Wärmepumpe (falls vorhanden), kWh/m²a | 3 | |
Gesamtenergiebedarf (Heizwärmebedarf + Elektrizität), kWh/m²a | 107 | 30 |
Energieerzeugung | Blockheizkraftwerk mit Öl | Fernwärme (Abwärme Industrie), davon min. 75% Erneuerbar |
Eigenenergieversorgung erneuerbare Energie (PV, SK, Umweltwärme), kWh/m²a | 11.8 | |
Art der erneuerbaren Energie | Photovoltaik | |
Lüftungskonzept: | ||
Luftschallschutz Decke Di, dB (mind. ≥ 52.0 dB nach SIA 181) | 52.0 | 52.0 |
Trittschallpegel Boden L', dB (max. ≤ 55.0 dB Umbau gemäss SIA 181) | 53.0 | 53.0 |
In welchem Umfang sind Bauteile ertüchtigt worden? | ||
Musste eine massgebliche Reduktion beantragt werden? | Nein | |
Erfüllungfaktor αeff nach SIA 269/8 oder gem. Merkblatt SIA 2018 | 0.40 | 0.45 |
nach welcher Norm berechnet? | SIA 269/8:2017 | SIA 269/8:2017 |
Nachhaltigkeitslabel | Minergie | |
Wohnungszugänglichkeit gem. BEHIG? | 100% der Whg. * | |
Wohnungen vollständig behindertengerecht anpassbar? | 100% der Whg. | |
Eckdaten
Bauwerkname | Sanierung und Aufstockung Lindendorf II Ostermundigen |
Ort | Unterdorfstrasse 15/17, 31/33, 35/37 3072 Ostermundigen |
Auftragsart | Direktauftrag |
Jahr der Fertigstellung | U15/17: 2023 (Bezug Dezember 2023) U31/33: 2022 U35/37: 2022 |
Baujahr Bestand | 1981 (Architektur: Heinz Kröpfli Architekt FSAI, Bern) |
Bauweise | Aufstockung: Holzelementbau Bestand: Massivbauweise mit Zweischalenmauerwerk. |
Bauherrschaft | Verschiedene |
Architektur | W2H Architekten AG, 3008 Bern Andreas Wenger (Projektverantwortung), Marianne Hutter und Remo Kipfer (Projektleitung), Luca Brunori, Dominique Faigaux, Jacob Frey, Anne Lucy, Linda Sigrist, David Thomann, Simone Zocco |
Bauleitung | W2H Architekten AG, Luca Brunori und Dominique Faigaux |
Fachplaner | WAM Planer und Ingenieure AG, Bern (Bauingenieur) Indermühle Bauingenieure GmbH, Thun (Holzbauingenieur) Toneatti Engineering AG, Bern (Elektro-Planung) Enerpeak AG, Liebefeld (Elektro-Planung) Enerplan AG, Ostermundigen (HLKS-Planung) |
Spezialisten | Grolimund + Partner AG, Liebefeld (Bauphysik / Akustik) HPB Consulting AG, Bern (Schadstoff-Planung) |