Bau des Monats 03-04/2024
Lindenweg
Schoch Tavli Architekten haben in Frauenfeld ein Mehrfamilienhaus von 1984 mit wenigen, aber gezielten Eingriffen saniert. Dank patinabelassenen Sichtbetonbalkonen und Farben, die aus der Zeit stammen könnten, steht das vormals graue Haus trotz Aussenwärmedämmung weiterhin als muraler Baukörper am Flussufer.
Welches Ziel bezweckte das Bauvorhaben?
Das fünfgeschossige Wohngebäude mit 22 Mietwohnungen aus dem Jahr 1984 befindet sich in Bahnhofsnähe am Ufer der Murg in Frauenfeld. Seit 2015 ist das Wohngebäude Teil des Gestaltungsplans Lindenpark. Ein etabliertes Bau- und Holzbauunternehmen nutzte bis 2020 das östliche Grundstück als Betriebsgelände. Der Firmensitz befindet sich heute ausserhalb der Stadt, in einer für diesen Zweck geeigneteren Industriezone. Auf dem ehemaligen Betriebsgelände entsteht nach den Plänen von DIAGONAL Architekten bis 2026 eine Stadtsiedlung mit Miet- und Eigentumswohnungen im mittleren bis gehobenen Segment. Das Ziel war entsprechend, die bestehenden Wohnungen auf verschiedenen Ebenen wieder in einen aktuellen Wohnstandard zu führen.
War ein Abbruch jemals ein Thema? Wenn ja, weshalb wurde er verworfen?
Für einmal spielte die Zeit für das Objekt: Erst im Ensemble mit den geplanten weiteren Wohnbauten offenbart sich wirklich die Wohnqualität des Orts, sodass der ursprünglich am Rand positionierte, eher gewöhnlich anmutende Mietswohnungsblock sich nun unverhofft als integraler Bestandteil einer künftig belebten Umgebung wiederfindet. Mittlerweile wird der Murgraum mit dem von Linden gesäumten Lindenweg auch städtebaulich als durchgängiges, wertvolles Element für die Stadt Frauenfeld betrachtet und als öffentlicher Raum genutzt. Trotzdem wurde während der Potenzialanalyse, die wir zu Beginn durchführten, die Möglichkeit eines Rückbaus in Betracht gezogen. Allerdings liegt die bestehende Geschossigkeit bereits ein Geschoss über der derzeit gültigen Zone, und so fiel die Entscheidung unter der Prämisse der Weiterverwendung von gebauten Strukturen und der Verdichtung klar zugunsten einer Sanierung aus.
Gibt es Qualitäten im Bestand, inkl. Aussenraum, die das Projekt beeinflusst haben?
Die bestehende Ausrichtung zum Flussraum und das Wohnungsangebot von hälftig 5½-Zimmer-Wohnungen mit ihren Balkonen – Familienwohnungen, die aktuell in Frauenfeld kaum gebaut werden – sind die grossen Qualitäten des Objekts. Der Wegzug der Bauunternehmung und die zukünftige Einbindung in die Stadtsiedlung Lindenpark bildet zusätzlich einen grossen Mehrwert.
Wie gross war die Eingriffstiefe? Welche Bauteile wurden wie instandgesetzt, ertüchtigt oder ersetzt?
Die Gebäudehülle und die Fenster aus der Bauzeit wurden energetisch aufgerüstet. Alle Absturzsicherungen wurden den aktuellen Normen angepasst und gleichzeitig in ein übergeordnetes architektonisches Konzept integriert. Die Wohnungen wurden umfassend renoviert, wobei kleine Grundrissanpassungen in den Küchen und Bädern zur Verbesserung der Wohnqualität beitrugen. Gespeist durch einen Holzschnitzelwärmeverbund konnten die bestehenden Radiatoren im Zusammenhang mit der Gebäudehüllensanierung belassen werden. Anstelle einer aufwendigen zusätzlichen mechanischen Lüftung wurde die natürliche Fensterlüftung belassen. Der vorhandene Eichen-Klötzliparkett konnte aufgefrischt und im Bereich des aufgehobenen Cheminées gut ergänzt werden. Eine bedeutende strukturelle Veränderung bestand in der Neugestaltung der Eingangssituation im Erdgeschoss. Die Vergrösserung des Eingangsbereichs schuf mit dem Einbau zweiseitig öffenbarer Lifte barrierefreie Zugänge. Architektonisch markieren die beiden neuen, grosszügigen Vordächer eine bis anhin nicht vorhandene Adressierung im Zusammenhang mit der gemeinsamen Gestaltung der neuen Stadtsiedlung.
Worin bestand die grösste Herausforderung?
Der Bauherrin war es wichtig, die umfassende Sanierung ohne Leerkündigungen durchzuführen. Den betroffenen Mieter:innen wurden jeweils etappenweise Rochade-Wohnungen als Zwischenbleibe zur Verfügung gestellt, was eine gründliche Vorbereitung und effektive Kommunikation mit den Mieter:innen erforderte. Bereits im Vorfeld konnten durch Wohnungswechsel oder Ferienkoordinationen wertvolle Zeitfenster geschaffen werden. Trotzdem konnten die durch die Bauarbeiten und das Fassadengerüst hervorgerufenen Unannehmlichkeiten natürlich nicht gänzlich vermieden werden.
Die vorhandene, murale Architektursprache und nüchterne Farbgestaltung stellten uns vor eine weitere grosse Herausforderung. Unser Anspruch war es, die verputzte Architektur mit den patinabelassenen Balkonen aus vorfabrizierten Sichtbetonelementen weiterhin spürbar zu lassen. Der Bezug zum Flussraum in Kombination mit den vorhandenen Grundrisstypologien und Fassadenabwicklungen inspirierte uns. Die Gebäudeproportion wurde mittels eines wiederkehrenden Flächenthemas neu gegliedert. Dadurch entstanden übergeordnete Farbräume mit spannenden Flächengewichten. Als Abschluss der zukünftigen Stadtsiedlung Lindenweg fungiert die Farbgestaltung gewissermassen auch als verbindendes Element zum Murgraum.
Welche Erkenntnisse haben Sie bei der Arbeit an diesem Projekt gewonnen?
Häufig konzentrieren sich Sanierungen von Mietshäusern im mittleren Segment stark auf die technische Ebene, während gestalterische oder architektonische Aspekte weniger Beachtung finden. Auch bei uns herrschte anfangs eine gewisse Skepsis hinsichtlich der scheinbaren Einfachheit der gestellten Aufgabe. Im Verlauf der Analyse und der sich entwickelnden Themen entdeckten wir nebst den energetischen Optimierungen auch ein architektonisches Potenzial. Unsere gesellschaftliche Verantwortung als Architekt:innen sehen wir nicht nur im sinnvollen Umgang mit Ressourcen, sondern immer auch darin, einen architektonischen Mehrwert für den Ort zu schaffen.
Welche Vorarbeiten wurden geleistet, bevor das Vorprojekt beauftragt wurde?
Wir erhielten zuerst den Auftrag für eine Potenzialstudie, wo zum einen Daten aus dem Gebäudemonitoring, welches die Bauherrin betreibt, einfliessen konnten. Zum anderen wurden die Schnittstellen zur entstehenden neuen Wohnsiedlung Lindenpark erforscht, um mögliche Synergien optimal zu nutzen. Eine solche Synergie besteht in der nun umgesetzten Zusammenlegung der Einstellhalle mit der Auflösung der bestehenden Tiefgarageneinfahrt. Dadurch wird der Autoverkehr entflechtet und bereits am Anfang der Stadtsiedlung unterirdisch geführt. Anschliessend wurden die gängigen Schadstoffuntersuchungen, statischen Überprüfungen und Materialsondierungen durchgeführt, die die Machbarkeit des angedachten Konzepts bestätigten.
Gab es Vorbilder/Referenzobjekte, an denen Sie sich orientiert haben?
Wir orientieren uns nicht bewusst an Vorbildern, sondern suchen nach Strategien. Dabei kann die Zeit als Quelle dienen, aus der wir zitieren, oder wir entwickeln bestehende Ansätze weiter, wie beispielsweise die Neugestaltung der Eingänge. Die neue Farbe verweist auf die Entstehungszeit des Gebäudes – Braun- und Grüntöne prägten die Gebäude im ländlichen Thurgau unserer Kindheit in den 1970er und 80er-Jahren – stärkt jedoch gleichzeitig den Bezug zu den Lindenbäumen und definiert den städtebaulichen Übergang zum Flussraum. Der durchgehende Farbenfries ist eine Erfindung, entwickelt sich jedoch aus der Wiederholung der skulpturalen Elemente an den bestehenden Fassaden; dessen versetzte Taktung unterstützt letztendlich die vorhandenen flächigen Proportionen und glättet das eine oder andere plumpe Detail des Bestandes aus.
Was würden Sie oder die Bauherrschaft rückblickend anders machen/angehen?
Im Grundsatz wahrscheinlich nicht viel. Die strangweise Sanierung ohne Leerkündigungen mit den notwendigen Rochaden bildet eine grosse Herausforderung für die Mieter:innen. Entsprechend sind die Kommunikationsabläufe und die Ansprechpersonen während der Umsetzung für alle Beteiligten klar zu definieren.
Kennwerte des Lindenwegs
Mengen, nach SIA 416 | vorher | nachher |
---|---|---|
Gebäudevolumen (GV), m³ | 12'522 | 12'555 |
Geschossfläche (GF), m² | 4'577 | 4'589 |
Hauptnutzfläche (HNF), m² | 2'370 | 2'370 |
Funktionale Einheiten (FE), Stk. | 22 | 22 |
BKP 1 Vorbereitungsarbeiten | 18'000 | |
BKP 2 Gebäude | 6'250'000 | |
BKP 4 Umgebung | 283'000 | |
BKP 5 Baunebenkosten | 136'000 | |
BKP 1-9, CHF | 6'687'000 | |
BKP 2, CHF/m³ GV | 500 | |
BKP 2, CHF/m² HNF | 2'640 | |
BKP 2, CHF/Stk. FE | 284'090 | |
BKP 1-9, CHF/m³ GV | 530 | |
BKP 1-9, CHF/m² HNF | 2'820 | |
BKP 1-9, CHF/Stk. FE | 303'950 | |
Energiebezugsfläche EBF, m² | 3'173 | 3'173 |
Heizwärmebedarf Qh, kWh/m²a | 77 | 30 |
Grenzwert Qh,li für Umbauten, kWh/m²a | 31 | 31 |
Heizwärmebedarf Qh, in % des Grenzwertes | 248 | 97 |
Elektrizität, inkl. Wärmepumpe (falls vorhanden), kWh/m²a | 26 | 20 |
Gesamtenergiebedarf (Heizwärmebedarf + Elektrizität), kWh/m²a | 103 | 50 |
Energieerzeugung | Gas / Öl | Holzschnitzel Wärmeverbund |
Lüftungskonzept: | ||
Luftschallschutz Decke Di, dB (mind. ≥ 52.0 dB nach SIA 181) | k.A. | |
Trittschallpegel Boden L', dB (max. ≤ 55.0 dB Umbau gemäss SIA 181) | k.A. | |
In welchem Umfang sind Bauteile ertüchtigt worden? | ||
Musste eine massgebliche Reduktion beantragt werden? | Nein | |
Erfüllungfaktor αeff gem. Merkblatt SIA 2018 | 47 - 60% | |
Nachhaltigkeitslabel | nein | |
Wohnungszugänglichkeit gem. BEHIG? | Nein | Ja |
Wohnungen vollständig behindertengerecht anpassbar? | Nein | Ja |
Eckdaten
Bauwerkname | Lindenweg |
Ort | Lindenweg 9 + 11 8500 Frauenfeld |
Auftragsart | Direktauftrag |
Jahr der Fertigstellung | 2024 |
Baujahr Bestand | 1984 (Architektur: Kräher & Jenni Architekten, Frauenfeld) |
Bauweise | Massivbauweise, Isomodul-Super-Backsteinmauerwerk |
Bauherrschaft | Gewerkschaft UNIA, Bern |
Architektur | Schoch Tavli Architekten, Frauenfeld Sara Rigor, Claudia Blaschey, David Belling, Emory Marbach, Andrin Wyrsch. |
Bauleitung | Griesmeier Baumanagement AG, Wil SG |
Fachplaner | SJB Kempter Fitze AG, Frauenfeld (Bauingenieur) Amstein + Walthert AG, Frauenfeld (HLSE) Brogle Rüeger Landschaftarchitekten BLSA, Winterthur Buri Bauphysik & Akustik AG, Volketswil |
Spezialisten | Maja Dal Cero, Dr. sc. nat., Schaffhausen (Biodiversität) |