Bau des Monats 08/2023
Weinlager
Esch Sintzel haben ein ehemaliges Weinlager zu einer veritablen Unité weitergebaut: die Aufstockung bietet überraschende Aussenräume und neue Balkonschichten, die zwischen innen und aussen vermitteln. Im Innern werden die hohen Pilzstützen des Bestandes wie auch die mannigfaltigen Umbauspuren zu Protagonisten.
Welches Ziel bezweckte das Bauvorhaben?
Das umgenutzte Weinlager bietet 64 bezahlbare Wohnungen für Menschen aller Gesellschaftsschichten und Lebensformen. Das transformierte Haus stiftet Identität im ehemaligen Industriequartier Lysbüchel Süd und wirkt als Bindeglied zwischen Wohn- und Industrieviertel.
War ein Abbruch jemals ein Thema? Wenn ja, weshalb wurde er verworfen?
Der Ursprungsbau von 1955, ein Stahlbetonbau mit Satteldach, diente im Keller zur Lagerung von Wein und im 1.OG zur Abfüllung in Flaschen. Mit dem Erweiterungsbau von 1973 wurde das Dach entfernt und das Haus mit zwei hohen Geschossen aus Stahl aufgestockt. Das Gebäude wurde als einfaches Lagerhaus bzw. Verteilzentrum weitergenutzt. Die Geschosshöhen in der Aufstockung waren mit 4.90 Metern ungeeignet für eine Transformation in Wohngeschosse, da eine lichte Raumhöhe von mindestens 2.50 Metern gefordert ist und somit die Einführung einer Zwischendecke nicht möglich war. Die Aufstockung überragte zudem die in der Zone 5a zulässige Gebäudehöhe von 18 Metern; ein Erhalt hätte ein Bebauungsplanverfahren ausgelöst, was einen mehrjährigen politischen Prozess mit sich gebracht hätte. Aus diesen Rahmenbedingungen heraus drängte sich der Rückbau der Aufstockung von 1973 auf. Diese wurde komplett zurückgebaut, bevor wir mit dem eigentlichen Umbau begonnen haben. Der Abbruch der gesamten Bausubstanz stand nie zur Diskussion.
Gibt es Qualitäten im Bestand, inkl. Aussenraum, die das Projekt beeinflusst haben?
Ja, aber vermutlich nicht auf den ersten Blick ― denn von aussen sah das Haus wenig einladend aus. Im Inneren offenbarten sich die Qualitäten: die skulpturalen Pilzstützen, die Raumhöhe im 1. Obergeschoss, das riesige Untergeschoss, die tragfähige Primärstruktur und Fundation aus Stahlbeton in einem guten Zustand. Das Projekt verstand den sperrigen Bestand als Potential und dies führte zu räumlich wie typologisch unkonventionellen Lösungen.
Wie gross war die Eingriffstiefe? Welche Bauteile wurden wie instandgesetzt, ertüchtigt oder ersetzt?
Die Eingriffstiefe war gross. Man hat das Haus von allen Innenwänden, der Haustechnik und etlichen Schichten schadstoffhaltiger Farbe und Putz befreit. Viele Schnitte an der Tragstruktur waren aufgrund des Baurechts und des Parzellierungsplans Lysbüchel Süd vorprogrammiert.
Um die neuen Bauteile mit der alten Struktur zu verbinden, musste man mit Wasser-Hochdruck Wände aufrauhen («Jetten»), die Eisen der Decken freilegen, mit grossen Sägeblättern schneiden und unzählige Bohrungen ausführen. Die Oberflächen wurden komplett sand- und wassergestrahlt.
Nachdem der Jet-Roboter die Armierung der bestehenden Decken mit dem Hochdruck-Wasserstrahl freigelegt hat, können die Decken zurückgeschnitten und die tragenden Fassaden entfernt werden.
Worin bestand die grösste Herausforderung?
Es gab viele Herausforderungen, und der Umbau vom Weinlager musste von allen Seiten sehr hohe Anforderungen erfüllen. Aus Sicht der Nachhaltigkeit musste das Label Minergie-P-Eco erreicht werden und es gab erhöhte Schallschutzanforderungen. Unter sozialen Gesichtspunkten galt es, dem Nutzungs- und Wohnungsmix gerecht zu werden und es gab eine Beschränkung auf 40m² Energiebezugsfläche pro Person. Auch für die Nord-Süd-Ausrichtung der Wohnungen in einem 20 Meter tiefen Gebäude musste eine Antwort gefunden werden. Aus statischer Sicht war die Erdbebenertüchtigung einer 70 Jahre alten Betonstruktur die grosse Herausforderung und entwurfsbestimmend. Hierfür wurde an beiden Enden des Gebäuderiegels je ein aussteifender Streifen ergänzt. Diese beiden «Buchstützen» lösen die Erdbebenertüchtigung und bieten zugleich die Möglichkeit, aus dem strengen Achsmass des Bestandes auszubrechen und die Vielfalt der Wohnungen mit den Eckwohnungen zu bereichern. Ausserdem kann das Weinlager sich so in die Gebäudeflucht der Elsässerstrasse entwickeln und sich im Erdgeschoss zur Strasse hin öffnen. Zu guter Letzt galt es auch dem eigenen Anspruch an die Gestaltung gerecht zu werden.
Welche Erkenntnisse haben Sie bei der Arbeit an diesem Projekt gewonnen?
Es ist ein einzigartiges Projekt, welches flexibles und prozessorientiertes Arbeiten von allen Seiten erforderte. Die neuen Holzstützen entlang der Längsfassaden beispielsweise mussten zwei Jahre vor Baubeginn, ganz zu Beginn der Planung, für einen sechsstelligen Betrag gekauft und getrocknet werden, und das, obwohl wir keine Referenz finden konnten, bei der unverleimte Rundholzstützen in dieser Art Verwendung fanden. Unklar war auch der Zustand der vielen Schichten (Verkleidungen, Verputze und Farben) und was darunter zum Vorschein kommen würde. Des weiteren haben wir die definitiven Oberflächen der Wohnungen erst wenige Monate vor Projektabschluss gemeinsam mit der Bauherrin auf der Baustelle festgelegt. Voraussetzung dafür, ein Projekt so entwickeln zu können, ist eine enge und sehr gute Zusammenarbeit zwischen Bauherrin, Planenden und Bauleitung. Die Umnutzung war komplexer und anspruchsvoller als es ein klassischer Neubau gewesen wäre, aber durch die «geerbte Identität» können sich neue räumliche und typologische Qualitäten entfalten. Das Thema «Weiterbauen» bestimmt die nahe Zukunft der Architekt*innen und ist der wichtigste Baustein zur Erreichung der Klimaziele. Der Umbau sparte gegenüber einem konventionellen durchschnittlichen Neubau übrigens ca. 40% graue Energie.
Welche Vorarbeiten wurden geleistet, bevor das Vorprojekt beauftragt wurde?
Es gab eine städtebauliche Machbarkeitsstudie für das ganze Quartier Lysbüchel Süd und dann den Studienauftrag Weinlager im Konkurrenzverfahren.
Was würden Sie oder die Bauherrschaft rückblickend anders machen/angehen?
Das ist schwierig zu sagen, da wir und die Bauherrschaft mit dem Resultat mehr als zufrieden sind. Natürlich gab es immer wieder Entscheide, die man hinterfragt hat, allerdings ist es ungewiss, ob eine andere Richtung besser gewesen wäre. Das «Jetten» des bestehenden Betons ist zwar sehr effektiv, war aber sehr laut und ging länger als gedacht, hier braucht es noch Alternativen oder bessere Konzepte zur Eindämmung der Schallemission.
Kennwerte des Weinlagers
Mengen, nach SIA 416 | vorher | nachher |
---|---|---|
Gebäudevolumen (GV), m³ | 42'000 | |
Geschossfläche (GF), m² | 12'600 | |
Hauptnutzfläche (HNF), m² | 5'862 | |
Funktionale Einheiten (FE), Stk. | 69 (64 Wohnungen, 3 Joker-/ Gästezimmer, 2 Gewerbe) |
|
BKP 1 Vorbereitungsarbeiten | 3'189'000 | |
BKP 2 Gebäude | 35'915'000 | |
BKP 4 Umgebung | 1'168'000 | |
BKP 5 Baunebenkosten | 628'000 | |
BKP 9 Ausstattung | 0 | |
BKP 1-9, CHF | 40'900'000 | |
BKP 2, CHF/m³ GV | 860 | |
BKP 2, CHF/m² HNF | 6'130 | |
BKP 2, CHF/Stk. FE | 520'510 | |
BKP 1-9, CHF/m³ GV | 970 | |
BKP 1-9, CHF/m² HNF | 6'980 | |
BKP 1-9, CHF/Stk. FE | 592'750 | |
Energiebezugsfläche EBF, m² | 7'524 | |
Heizwärmebedarf Qh, kWh/m²a | 16 | |
Grenzwert Qh,li für Umbauten, kWh/m²a | 25 | |
Heizwärmebedarf Qh, in % des Grenzwertes | 64 | |
Elektrizität, inkl. Wärmepumpe (falls vorhanden), kWh/m²a | 34 | |
Gesamtenergiebedarf (Heizwärmebedarf + Elektrizität), kWh/m²a | 50 | |
Energieerzeugung | Grundwasser-Wärmepumpe | |
Eigenenergieversorgung erneuerbare Energie (PV, SK, Umweltwärme), kWh/m²a | 18 | |
Art der erneuerbaren Energie | Sonnenenergie (ca. 700 m² PV, Leistung: 142kWp) | |
Lüftungskonzept: | Minergie Kaskadenlüftung | |
Luftschallschutz Decke Di, dB (mind. ≥ 52.0 dB nach SIA 181) | eingehalten | |
Trittschallpegel Boden L', dB (max. ≤ 55.0 dB Umbau gemäss SIA 181) | eingehalten | |
In welchem Umfang sind Bauteile ertüchtigt worden? | ||
Musste eine massgebliche Reduktion beantragt werden? | Nein | |
Erfüllungfaktor αeff nach SIA 269/8 oder gem. Merkblatt SIA 2018 | (wurde nicht berechnet) | eingehalten |
nach welcher Norm berechnet? | SIA 269/8 | |
Nachhaltigkeitslabel | Minergie P-ECO | |
Treibhausgasemissionen Erstellung und Betrieb gem. SIA 2040, THG (kg CO2-eq/m²a) | 12 | |
Wohnungszugänglichkeit gem. BEHIG? | Ja | |
Wohnungen vollständig behindertengerecht anpassbar? | Ja* |
Eckdaten
Bauwerkname | Umnutzung «Wohnen im ehemaligen Weinlager» |
Ort | Weinlagerstrasse 11 4056 Basel |
Auftragsart | Wettbewerb (Generalplanung in Zusammenarbeit mit Proplaning AG, Basel) |
Jahr der Fertigstellung | 2023 |
Baujahr Bestand | 1955 (Architektur: Eckenstein Kelterborn Bürgi Architekten, Basel) |
Bauweise | Massivbau in Stahlbeton / Stützen und Platten |
Bauherrschaft | Stiftung Habitat, Basel |
Architektur | Esch Sintzel GmbH, Zürich Mitarbeit: Laurent Burnand (PL), Seraina Spycher (PL), Laura Zgraggen (PL), Nahuel Barroso, Andreas Hasler, Luca Helbling, Witold Kabirov, Xijie Ma, Nadja Moser, Eva-Maria Nufer, Johannes Senn, Marco Rickenbacher (verantwortlicher Partner) |
Baumanagement und -leitung | Proplaning AG, Basel Mitarbeit: Maik Sütterlin (OBL), Dieter Mendes Hall, Armin Schärer, Matteo Andrisano, Johann Mensch, Maria Crespi, Cornelia Lamm (Administration), Udo Pfaff (GPL, verantwortlicher Partner) |
Fachplaner | Landschaftsarchitektur: Stauffer Roesch AG, Basel Bauingenieurwesen: Aerni + Aerni Ingenieure AG, Zürich; Aegerter & Bosshardt AG, Basel Bauphysik & Akustik: Gartenmann Engineering AG, Basel HLK-Planung und Fachkoordination: Bogenschütz AG, Basel Sanitärplanung: Technik im Bau AG, Luzern Elektroplanung: Edeco AG, Aesch |
Spezialisten | BIM-Koordination: Kaulquappe AG, Zürich Signaletik: Büro Berrel Gschwind, Basel Farbberatung: Archfarbe, Andrea Burkhard, Zürich |