Bau des Monats 12/2022
Winzerhalde

Die Siedlung Winzerhalde in Zürich wurde 2016 von Fahrländer Scherrer Jack Architekten einer einheitlichen Instandsetzung unterzogen, die neben gezielten energetischen Verbesserungen auch einen wesentlichen Beitrag in den Bereichen der Wirtschaftlichkeit und des sozialen Zusammenlebens leistet.

Siedlung Winzerhalde
Wohnhof über der Einstellhalle (Foto: Miguel Sánchez)

Welches Ziel bezweckte das Bauvorhaben?

Die Siedlung Winzerhalde entstand zwischen 1982 und 1984 nach Plänen von Fischer Architekten. Die als Gartensiedlung konzipierten Wohnbauten erhielten 1985 die Auszeichnung für Gutes Bauen der Stadt Zürich. In der Vergangenheit wurden immer wieder einzelne Sanierungsmassnahmen vorgenommen. Nach rund 30 Jahren war der Zeitpunkt gekommen, die Siedlung einer einheitlichen Instandsetzung zu unterziehen.

Die Siedlungsgenossenschaft Eigengrund (SGE) beabsichtigte aber nicht nur die Gebrauchstauglichkeit für die nächsten 25 bis 30 Jahre zu sichern, sondern wollte auch einen Beitrag für eine nachhaltige Entwicklung im Bereich der Ökologie, der Wirtschaftlichkeit und des sozialen Zusammenlebens leisten. Dank der robusten Bausubstanz und der geringen Eingriffstiefe konnte die Mietzinserhöhung nach der Sanierung tief gehalten werden. Das soziale Zusammenleben wurde durch die Vergrösserung des Gemeinschaftsraumes und einem neu gestalteten Aufenthaltsbereich im Aussenraum gefördert. Um die angestrebten Verbesserungen im Bereich der Nachhaltigkeit zu erreichen, entschloss sich die SGE als Unterstützung bei der Projektentwicklung die Arbeitsinstrumente der SNBS-Zertifizierung beizuziehen.

War ein Abbruch jemals ein Thema? Wenn ja, weshalb wurde er verworfen?

Die Siedlung Winzerhalde weist eine hohe Wohnqualität auf und ist bei den Mietern sehr beliebt. Sie zeichnet sich durch eine präzise Gestaltung und eine grosszügige, abgestufte Aussenraumgestaltung aus. Daneben gab es verschiedene baurechtliche und wirtschaftliche Gründe, die gegen einen Abbruch sprachen. Die Siedlung ist Teil einer Arealüberbauung, wovon der SGE rund ein Drittel gehört. Die Arealüberbauung bildet eine in sich abgeschlossene Einheit und der Teil der SGE kann nicht losgelöst betrachtet werden. Das Land gehört der Stadt Zürich und ist bis Ende 2043 im Baurecht an die SGE abgegeben worden. Aus diesen Gründen war bereits beim Projektstart klar, dass ein Ersatzneubau sowohl aus architektonischer, wie auch aus wirtschaftlicher Sicht nicht in Frage kommt. Zudem ist die Siedlung seit 2013 in den Inventaren Denkmalpflege und Gartendenkmalpflege von kommunaler Bedeutung. Es wäre fraglich gewesen, ob die Siedlung bei einem Provokationsbegehren aus dem Inventar entlassen worden wäre.

Siedlung Winzerhalde
Begrünter, rückwärtiger Aussenraum (Foto: Miguel Sánchez)

Gibt es Qualitäten im Bestand, inkl. Aussenraum, die das Projekt beeinflusst haben?

Die Siedlung besteht aus 14 unterschiedlichen Wohnungstypen, welche Geschoss-, Splitlevel-, Maisonette- und Attikalösungen umfassen. Für die individuell geschnittenen Grundrisse mussten auf die örtlichen Verhältnisse abgestimmte Sanierungskonzepte entwickelt werden. Die Aussenräume weisen eine vielfältige, differenzierte Nutzbarkeit auf. Die kammartigen Häuserzeilen bilden abwechslungsweise vorderseitige Wohnhöfe, über die die Wohnungen erschlossen werden, und rückwärtige Grünräume mit Privatgärten und Balkonen. Die unterschiedlichen öffentlichen, halböffentlichen und privaten Zonen werden durch verschiedene Niveaus, Bepflanzungen und Beläge betont. Die Aussenraumgestaltung richtete sich im Wesentlichen am Bestand aus. Neben dem Erhalt der vorgefundenen Qualitäten galt es, den veränderten Ansprüchen nach hindernisfreien Zugängen, der Neukonzipierung des von den Gebäuden abgewandten Aussenraums, einer Förderung der Biodiversität und erhöhten Nutzungsanforderungen der Mieter innen wie aussen gerecht zu werden.

Siedlung Winzerhalde
Split-Level Wohnung (Foto: Hannes Henz)

Wie gross war die Eingriffstiefe? Welche Bauteile wurden wie instandgesetzt, ertüchtigt oder ersetzt?

Abgesehen von den Strangsanierungen im Bereich von Küche und Bad blieben die Wohnungen im Wesentlichen unverändert. Bei den Nasszellen mit Duschen wurden spezielle Entwässerungsrinnen eingebaut, welche über Wärmetauscher dem gebrauchten Duschwasser Wärme entziehen, um das Kaltwasser vorzuwärmen. Die inneren Oberflächen wurden nur nach starker Abnutzung und in Absprache mit den Bewohnern renoviert. Eingriffe in die Gebäudestruktur gab es im Erdgeschoss der hangseitigen Längszeile. Mit zusätzlichen Zugängen konnten 5 Geschosswohnungen hindernisfrei erschlossen werden. Der auf dem gleichen Geschoss liegende Gemeinschaftsraum wurde den heutigen Bedürfnissen entsprechend vergrössert.

Das markante Erscheinungsbild der Siedlung Winzerhalde ist durch das Sichtmauerwerk und die Geschossbänder und Balkone aus Beton geprägt. Das Zweischalenmauerwerk mit 5 cm Wärmedämmung entspricht nicht den heutigen Wärmedämmvorschriften. Die Fassade war jedoch wegen ihrem guten Zustand und der hochwertigen Gestaltung nicht Teil der Instandsetzung und blieb unverändert. Mit einem Glasersatz bei den bauzeitlichen Fenstern konnte der Wärmeverlust punktuell verbessert werden. Trotz der wenigen wärmedämmtechnischen Massnahmen konnte die Siedlung nach dem «Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz» (SNBS) zertifiziert werden. Voraussetzung dafür waren gute Bewertungen in den sozialen und wirtschaftlichen Bereichen und der Anschluss der Siedlung an das Fernwärmenetz.

Im Aussenraum bildeten die Erneuerung der Abdichtung der mittig platzierten Tiefgarage und die Neukonzipierung des rückwärtigen Aussenraums die Schwerpunkte. Die Beläge und Bepflanzung auf der Tiefgarage wurden vollständig abgeräumt. Die Abdichtung wurde erneuert, die Betontröge auf der Tiefgarage saniert und erneut gefüllt und bepflanzt. Der vergrösserte Gemeinschaftsraum erhielt neu einen ihm angemessenen Aussenraum. Der nördlich der Längszeile liegende Grünraum wurde räumlich neu strukturiert, Spielbereiche neu angelegt, zwei Sitzplätze neu erstellt und mit Pergola und Hochbeeten ausgestattet.

Siedlung Winzerhalde
Küche Innen (Foto: Hannes Henz)

Worin bestand die grösste Herausforderung?

Die Überbauung war ursprünglich von privaten Investoren geplant worden. Die Wohnungen waren so konzipiert, dass sie auch gehobenen Wohnansprüchen genügten. Während der Bauphase ging der Investor Konkurs. Die Genossenschaft SGE übernahm einen Teil der Siedlung aus der Konkursmasse. Die hohe Wohnqualität, die nicht dem üblichen genossenschaftlichen Standard entsprach, führte zu einem sehr geringen Mieterwechsel mit noch heute vielen Erstbewohnern. Die Bewohner identifizierten sich mit ihrer Siedlung und waren gegenüber jeder Veränderung sehr skeptisch. Mit zwei Workshops wurden die Mieter einerseits über den Unterhaltsbedarf informiert und andererseits im Rahmen eines Mitwirkungsverfahrens aufgefordert, ihr Wissen und ihre Bedürfnisse in den Planungsprozess einzubringen. Diese Vorgehensweise hatte den Vorteil, dass die Bewohner sachte an die bevorstehenden Veränderungen herangeführt wurden. Als Resultat des Mitwirkungsprozesses konnten die Mieter zwischen einer geschlossenen Küche und einem offen gestalteten Koch-/Essbereich entscheiden. Diese Wahlmöglichkeit bedeutete für uns bei 14 unterschiedlichen Wohnungstypen einen deutlich erhöhten Planungsaufwand, der aber sicher zum Gelingen des Projektes beigetragen hat.

Siedlung Winzerhalde
Offener Koch-/Essbereich (Foto: Hannes Henz)
Siedlung Winzerhalde
Küche von Essbereich abgetrennt (Foto: Hannes Henz)

Eine bautechnische Herausforderung stellte die neue Abdichtung der Einstellhalle dar. Auf dem darüber liegenden Wohnhof befanden sich zahlreiche Pflanzentröge aus Ortbeton. Die Abdichtung erfolgte ursprünglich über einen Gussasphaltbelag, der direkt an die Pflanzentröge anschloss. Nach geltenden Normen hätten die Pflanzentröge mit Blech eingefasst werden müssen. Dies hätte das Erscheinungsbild der auf die Architektur abgestimmten Pflanzentröge massiv beeinträchtigt. Zusammen mit einem auf Abdichtungen spezialisierten Fachplaner konnten wir Lösungen entwickeln, die auf Blecheinfassungen verzichteten und trotzdem die geltenden Normen einhielten. Damit blieb die Einheit von Architektur und Umgebungsgestaltung weiterhin gewahrt. Die Angemessenheit von Nutzungsaufwertungen und ökologischen Aufwertungen im Aussenraum wurde seitens der Mieter der Siedlung intensiv diskutiert und führte zu diversen Anpassungen. So wurde auf einen Rundweg verzichtet und die vorgesehenen Mietergärten wurden durch ein Hochbeet ersetzt. Schwarzerlen wurden von den Bewohnern aufgrund ihrer allergisch wirkenden Pollen als ungeeignet eingeschätzt. Diese wurden durch japanische Kuchenbäume ausgewechselt.

Welche Erkenntnisse haben Sie bei der Arbeit an diesem Projekt gewonnen?

Der frühe Einbezug der Mieter in den Planungsprozess und die fortlaufende Information über das Bauvorhaben waren wichtige Voraussetzungen, um die Instandsetzung im bewohnten Zustand durchzuführen. Es hat uns sehr geholfen, dass offene Fragen mit Hilfe von umfangreichen Sondagen, detaillierten Bestandsaufnahmen im Aussenraum und Materialanalysen vor Baustart geklärt werden konnten. Aufgrund einer zeitgleichen Bearbeitung von Innen und Aussen und einem konstruktiven Umgang zwischen dem Planungsteam und der Bauherrschaft konnten hochwertige Lösungen entwickelt werden. Wichtige Erkenntnisse gewannen wir zudem durch die Musterinstandsetzung einer Wohnung, bei der alle projektierten Eingriffe 1:1 umgesetzt werden konnten. Dafür war ein erhöhter Aufwand erforderlich, der sich aber bei der Umsetzung mehr als ausbezahlte und zu einer hohen Kostensicherheit führte.

Welche Vorarbeiten wurden geleistet, bevor das Vorprojekt beauftragt wurde?

Die SGE liess den Zustand der Bausubstanz und der Haustechnik untersuchen und gab eine Studie über den Energieverbrauch in Auftrag. Aufgrund dieser Zustandsanalysen definierte sie den Projektumfang und führte ein Planerwahlverfahren durch, zu dem 5 Büros eingeladen wurden.

Gab es Vorbilder/Referenzobjekte, an denen Sie sich orientiert haben?

Wir haben uns intensiv mit der Entstehung und der Architektur und Landschaftsarchitektur der Siedlung Winzerhalde sowie den städtebaulichen und architektonischen Strömungen ihrer Zeit auseinandergesetzt. Es war uns wichtig, unsere Interventionen sorgfältig darauf abzustimmen. Im Weiteren haben wir andere Umbaubeispiele der SGE beigezogen und besichtigt, um den Ausbaustandard der Genossenschaft und ihre inhaltlichen Ziele besser zu verstehen.

Was würden Sie oder die Bauherrschaft rückblickend anders machen/angehen?

Als wir mit der Projektierung starteten, stand uns das Tool für die SNBS-Zertifizierung noch nicht zur Verfügung. Dies stellte sich im weiteren Projektablauf als Nachteil heraus. Ein nächstes Mal würden wir Wert darauflegen, von Beginn an mit dem SNBS-Tool zu arbeiten. Dies ermöglicht auch eine frühe Einschätzung, ob eine SNBS-Zertifizierung denkbar ist.

Siedlung Winzerhalde
Situationsplan
Siedlung Winzerhalde
Grundriss EG
Siedlung Winzerhalde
Grundriss OG
Siedlung Winzerhalde
Querschnitt

Kennwerte der Siedlung Winzerhalde

Mengen, nach SIA 416vorhernachher
Gebäudevolumen (GV), m³24'53224'532
Geschossfläche (GF), m² 8'686
8'686
Hauptnutzfläche (HNF), m²4'2904'290
Funktionale Einheiten (FE), Stk.4343
Baukosten, inkl. MWSt.
BKP 1 Vorbereitungsarbeiten177'572
BKP 2 Gebäude7'467'634
BKP 4 Umgebung325'077
BKP 5 Baunebenkosten493'391
BKP 9 Ausstattung
BKP 1-9, CHF8'463'674
BKP 2, CHF/m³ GV300
BKP 2, CHF/m² HNF1'740
BKP 2, CHF/Stk. FE173'670
BKP 1-9, CHF/m³ GV350
BKP 1-9, CHF/m² HNF1'970
BKP 1-9, CHF/Stk. FE196'830
Energiebedarfvorhernachher
Energiebezugsfläche EBF, m²6'0726'072
Heizwärmebedarf Qh, kWh/m²a7151
Grenzwert Qh, li für Umbauten, kWh/m²a4141
Heizwärmebedarf Qh, in % des Grenzwertes, kWh/m²a173124
Elektrizität, kWh/m²a1010
Gesamtenergiebedarf (Heizwärmebedarf + Elektrizität), kWh/m²a8161
Energieversorgungvorhernachher
EnergieerzeugungÖlFernwärme
(ab 2023)
Eigenenergieversorgung erneuerbare Energie (PV, SK, Umweltwärme), kWh/m²a55
Lüftung
Lüftungskonzept: mechanische Abluftanlage bei Küche und Badmechanische Abluftanlage bei Küche und Bad
Schallschutzvorhernachher
Luftschallschutz Decke Di, dB (mind. ≥ 52.0 dB nach SIA 181)6060
Trittschallpegel Boden L', dB (max. ≤ 55.0 dB Umbau gemäss SIA 181) (nicht gemessen)
In welchem Umfang sind Bauteile ertüchtigt worden?keine Ertüchtigung
Brandschutzvorhernachher
Musste eine massgebliche Reduktion beantragt werden?nein
Erdbebensicherheitvorhernachher
Erfüllungfaktor αeff nach SIA 269/8 oder gem. Merkblatt SIA 20181.041.04
Nachhaltigkeitvorhernachher
NachhaltigkeitslabelSNBS
Erfüllung Norm SN 0500vorhernachher
Wohnungszugänglichkeit gem. BEHIG?0 von 435 von 43
Wohnungen vollständig behindertengerecht anpassbar?nein5 von 43

Eckdaten

BauwerknameSiedlung Winzerhalde
OrtWinzerhalde 34 – 42
8049 Zürich
AuftragsartPlanerwahlverfahren, Generalplanervertrag
Jahr der Fertigstellung2016
Baujahr Bestand1982 (Architektur: Fischer Architekten, Zürich)
BauweiseMassivbauweise (Zweischalenmauerwerk)
BauherrschaftSiedlungsgenossenschaft Eigengrund, Zürich
ArchitekturFahrländer Scherrer Jack Architekten, Zürich
– Gregor Scherrer, Kaspar Fahrländer, Erich Nägeli
BauleitungOppliger Baumanagement, Zürich
FachplanerRuggli Partner, Zürich (Bauingenieur)
Gutknecht Elektroplanung, Au-Wädenswil
Frei + Partner, Baden (Haustechnikplanung)
Umland GmbH, Zürich (Landschaftsarchitektur)
SpezialistenArchitektur und Ingenieur Kollektiv, Zürich (Bauphysik)
Pro Bautechnik, Mühlethal AG (Abdichtung Einstellhalle)